Welche Herausforderungen und Chancen bestehen für den Immobilien- und Finanzsektor?

2019 verabschiedete die EU den Green Deal. Dieser sieht vor, unseren CO₂-Ausstoß bis 2030 um 55 % zu verringern und bis 2050 vollständig klimaneutral zu werden.[1] Realisierbar wird dies nur, wenn innerhalb der gesamten europäischen Wirtschaft ein disruptives Umdenken erfolgt. Aufgrund des enormen Verbrauchs an fossilen Ressourcen sowie der massiven CO₂-Emissionen besitzt die Immobilienwirtschaft hier eine enorme Hebelwirkung. Die fortschreitende Urbanisierung der Gesellschaft sowie der stetige Trend zu Single-Haushalten fördern einen konstant hohen Bedarf an Neubauprojekten. Die große Herausforderung ist die Befriedigung des Grundbedürfnisses Wohnen unter Einhaltung der Klimaziele und -vorgaben.

[1] Quelle: Statistisches Bundesamt

Daniel Mohaupt, Vorstand, der PSD Bank Berlin Brandenburg

Daniel Mohaupt, Vorstand der
PSD Bank Berlin-Brandenburg

EU-Taxonomie zusammengefasst

Mit der EU-Taxonomie kam letztes Jahr ein innerhalb der europäischen Union gültiges Klassifizierungssystem zum Einsatz, um die Marktteilnehmer mehr in Richtung Nachhaltigkeit zu lenken. Funktion dieses Systems ist die Schaffung eines Regelwerks, das unter Anwendung wissenschaftlicher Kriterien definiert, welche Investitionen und Produkte fortan als nachhaltig gelten.

Wirtschaftliche Maßnahmen mit diesem Anspruch müssen einen positiven Beitrag zu mindestens einem der sechs definierten Umweltziele leisten.

Zusätzlich darf ökonomisches Handeln keines dieser Ziele negativ beeinträchtigen und muss einen Mindeststandard bezüglich Menschen- und Arbeitnehmerrechten sicherstellen. Ein qualifiziertes Reporting ist seit 2023 für größere Unternehmen verpflichtend.[2]

[2] Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz

Grafik mit den verschiedenen Klimazielen, die in der EU-Taxonomie definiert sind.

Was bedeutet das konkret für die Finanz- und Immobilienbranche?

Für die Teilnehmer am Finanzmarkt gelten keine direkten Nachhaltigkeitsvorgaben, sondern lediglich Auflagen zu mehr Transparenz. Diese muss nach bestimmten technischen Standards erfolgen, die von den europäischen Aufsichtsbehörden definiert werden.

Ziel ist es, Nachhaltigkeit als neuen Mainstream auf den internationalen Finanzmärkten zu positionieren. Hierzu erfolgt die Klassifizierung von Finanzprodukten gemäß der EU-Offenlegungsverordnung (SFDR) in verschiedene Kategorien.

1. Traditionelle Finanzprodukte (Artikel 6): Keine oder geringe Berücksichtigung nachhaltiger Kriterien

2. Finanzprodukte mit nachhaltigen Merkmalen (Artikel 8): Beinhaltung ökologischer oder sozialer Merkmale sowie deren Bewerbung

 3. Impact-Fonds – nachhaltige Investitionen (Artikel 9): Explizit definierte Klimaziele, die durch die Investition erreicht werden sollen [3]

[3]Quelle: lex.europa.eu

Viele Faktoren beeinflussen taxonomiekonformes Wohnen und Bauen

Um als nachhaltig bewertet zu werden und damit kapitalmarktfähig zu bleiben, müssen Immobiliendienstleister die EU-Klimaziele bzw. die gesamten ESG-Aspekte in ihre Strategie integrieren. Insbesondere der Klimaschutz sowie die Anpassung an den Klimawandel sind hier besonders relevant. Neben einer Optimierung der Energieeffizienz, der Einsparung von CO₂ sowie der Installation entsprechender Technik zur Steuerung der Maßnahmen werden im Neubaubereich qualifizierte Klimaprojektionen notwendig, auf deren Basis entsprechende Schutz- und Präventionsmaßnahmen abgeleitet werden.

Ebenso dürfen Marktteilnehmer, die anderen Klimaziele im Rahmen ihrer Aktivitäten nicht beeinträchtigen. Exemplarische Maßnahmen sind Sanitäranlagen mit vermindertem Durchfluss zur Reduzierung des Wasserverbrauchs, Cradle-to-Cradle zertifizierte Baustoffe, oder einfach das Unterlassen von Neubauprojekten auf besonders fruchtbaren Böden.

Zusammengefasst: Auf den Immobiliensektor wird ein tiefgreifender Wandel zukommen. Der Ausgleich zwischen dem rasant steigenden Bedarf nach Wohnraum und dem Erreichen der Klimaziele ist eine schmale Gratwanderung. Doch zugleich wird uns allen vor Augen geführt, wie viel wir doch bewirken können, wenn die gesamte Immobilienbranche ihre Innovationskraft nutzt, um zu neuen Lösungen zu kommen. Uns erwarten große Herausforderungen mit großen Potenzialen.

Welche Rolle spielen Banken bei der Transformation zu mehr Nachhaltigkeit?

Finanzinstitute spielen eine Schlüsselrolle, da sie die Wirtschaft mit der für die Transformation nötigen Liquidität versorgen: Um die hierbei entstehenden Anforderungen und Risiken adäquat bewerten und ihre Strategien danach ausrichten zu können, müssen Banken zunächst im Rahmen einer „Inventur“ folgende Punkte zu analysieren:

Wir Banken müssen den Status quo der Aktiva (Kredite, Wertpapiere, Immobilien etc.) mit Blick auf die EU Taxonomie und die anstehende Nachhaltigkeitsberichterstattung genau analysieren.

Für die Frage der Offenlegung muss festgestellt werden, wie hoch der Anteil an bereits „grünen“ Investments ist und welcher Anteil der operativen Erträge bereits mit taxonomiefähigen Investments erzielt wird.

Für die Zukunft müssen wir diesen Anteil durch eine Anpassung der Investitionspolitik maßgeblich erhöhen.

Ein für die Zukunft sehr relevanter Punkt ist, inwiefern die von uns finanzierten Unternehmen von direkten Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind.

Hier bedarf es einer Bewertung, welche Risiken sich ergeben, wenn beispielsweise Produktionsstätten in Bereichen liegen, die vom erwarteten Anstieg des Meeresspiegels betroffen sind.

Letztlich steht dahinter die Frage, welche potenziellen Wertberichtigungsbedarfe sich dadurch im Rahmen ihrer Kredit- und Wertpapieranlagen ergeben. Im Kontext eines qualifizierten Risikomanagements werden hier mit den Kunden geeignete Anpassungsstrategien entwickelt werden müssen.

Last but not least benötigen wir Daten, welchen Einfluss die finanzierten Unternehmen auf die Erreichung von Klimazielen haben.

Das bedeutet zum Beispiel, wie groß CO₂-Fußabdruck ihrer vermieteten Immobilien momentan ist und wie dieser reduziert werden kann. Ferner muss geprüft werden, ob Unternehmen auf Werkstoffe oder Fertigungsmethoden setzen, die künftig stärker reguliert oder nicht mehr zulässig sein werden.

Ebenfalls relevant ist das veränderte Nachfrageverhalten mit Blick auf die Auswirkungen der ESG-Kriterien. Auch hier liegt es an uns Banken, unsere Kunden hinsichtlich notwendiger Anpassungsstrategien zu begleiten.

Wie bereiten wir uns auf die nachhaltige Transformation vor?

Aktuell ist es notwendig, geeignete Klassifizierungs-, Scoring- und Ratingverfahren zu ermitteln. Wir selbst haben  beispielsweise viel Zeit aufgewendet, verschiedene Klassifikationssysteme für Immobilien unter die Lupe zu nehmen und zu testen.

Diese benötigen dann neue Datensätze seitens der Kunden, die diese teilweise aufwendig erheben, normieren und implementieren müssen. Das ist insofern essenziell, da Banken ihre Kunden nur dann bei der obligatorischen Transformation begleiten können, wenn sie ihrerseits die notwendigen regulatorischen Anforderungen erfüllen können. Dabei müssen Finanzinstitute vor allem auch den Unternehmen die erforderliche Liquidität für Investitionen bereitstellen, die heute noch nicht in hohem Anteil den Nachhaltigkeitskriterien entsprechen. Bei der zukünftigen Kreditvergabe geht es also um einen „manage to green“-Ansatz.

Unternehmen sollten diesen Prozess gemeinsam mit der Bank zu besprechen, die nötigen Daten erheben und bereitstellen sowie die erforderlichen Anpassungsstrategien entwickeln und umsetzen. Dies wird ein sehr entscheidender Faktor für deren Zukunftsfähigkeit. Speziell zum Thema Datenerhebung haben wir vor Kurzem einen vielversprechenden Ansatz kennengelernt. Seitens der Banken wird sich die Frage stellen, wie wir selbst unsere eigenen Rolle neu begreifen. Hierüber habe ich bereits mehrere spannende Gespräche geführt.

Habt Ihr Euch schon mit der EU-Taxonomie befasst? Schreibt Eure Eindrücke und Schlussfolgerungen gerne in die Kommentare. Wir sind gespannt.